Studientag zur Ernährungssouveränität: Ernährung geht alle an -Für eine Kultur der Fürsorge und Verantwortung durch Lebensmittel

Ernährung geht alle Menschen an – global und existenziell. Unter dem Titel „Wer bestimmt, was uns ernährt?“ fand daher kürzlich ein Fachtag in der Landvolkshochschule Niederalteich statt, bei dem die unterschiedlichen Rollen, von der Produktion über Landwirtschaft, Handel und Politik hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern im Kontext der Ernährungssouveränität sichtbar geworden sind.

„Wir brauchen eine grundlegende öko-soziale Transformation des Ernährungssystems“, mit diesen Worten leitete der ehemalige Präsident der Internationalen Katholischen Landvolkbewegung (FIMARC) und Landseelsorger im Bistum Würzburg, Wolfgang Scharl, einen Beitrag ein, in dem er das Konzept der „Ernährungssouveränität“ von der „Ernährungssicherheit“ abgrenzte. Er machte deutlich, dass Ernährungssouveränität ein Recht auf Selbstbestimmung bedeute – und zwar sowohl für die Produzentinnen und Produzenten wie auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher – und damit weit über die „bloße Sicherung der Versorgung mit Nahrung“ hinausgehe.

Eingeladen zu der Veranstaltung hatten die Landvolkshochschule Niederalteich, das Landeskomitee der Katholiken in Bayern, die Katholische Landvolkbewegung (KLB) Bayern, Misereor in Bayern, der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) Bayern und die Hochschule für Philosophie in München. Unterstützt wurden die Organisatoren von der Abteilung Weltkirche der Diözese Passau und missio München. Zeitlich im diesjährigen Monat der Weltmission gelegen, hatten damit die etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit, mit Rosa Koian eine authentische Stimme aus dem globalen Süden zu hören. Rosa Koian ist Aktivistin. Sie ist Koordinatorin der NGO Bismarck Ramu Group in Papua-Neuguinea und ihre Schilderung, wie die Menschen in Papua-Neuguinea die Natur respektieren, wie sie mit ihr leben und arbeiten, wie verbunden sie mit dem Boden ihrer Heimat sind, hat die Tagungsteilnehmer tief bewegt und berührt. Viele Länder des globalen Südens seien von Importen abhängig, so Rosa Koian. Was in Industrieländern nicht verkauft werde, lande dort. Dies sei vielfach billige und ungesunde Nahrung, die nicht zur Kultur der Länder und der dort lebenden Menschen passe. Nahrung aber, so Rosa Koian, sei essenziell für Identität und Kultur. Sie sagt: „Schaffen wir eine Kultur der Fürsorge und Verantwortung durch Lebensmittel. Danken wir jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Fluss und jedem Regenfall, der uns ernährt.“

BU 1:
Rosa Koian (2.v.l.), Aktivistin aus Papua Neuguinea, plädiert für eine Kultur der Fürsorge und Verantwortung durch Lebensmittel.
Foto: Dr. Alexandra Hofstätter

Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern sei durchaus ein Bewusstsein für regionale und saisonale Produkte erkennbar, so Sandra Nirschl vom VerbraucherService Bayern im KDFB. Sie seien jedoch auch preissensibel, was dazu führe, dass Wunsch und Wirklichkeit häufig nicht zusammenpassten. Zudem machte sie an Trends rund um sogenannte „Super-Foods“ wie Quinoa deutlich, wie verheerend die Auswirkungen des europäischen Kaufrausches für die Produktionsländer und die dort lebenden Menschen seien. Nicht selten führe die große Nachfrage in westlichen Ländern zu einer Negativspirale in den betroffenen Regionen: um die Nachfrage zu decken, würden dort große Monokulturen angebaut. Damit würden Flächen belegt, die nicht für die Produktion eigener Nahrungsmittel genutzt werden könnten. Dies führe zu Importen und steigenden Preisen. Sandra Nirschl rät daher dazu, nicht jedem Trend zu folgen, wo möglich frische Produkte zu kaufen, auf regionale Produkte zurückzugreifen – hier können geprüfte Siegel helfen – und Einkäufe mit Bedacht auszuwählen, was auch helfe Lebensmittelmüll zu vermeiden.

Die Studie Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität: Ethische Perspektiven für die globale Landnutzung, erarbeitet von einer Expertenkommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) macht deutlich, unter welchem Druck Böden stehen – hier in Bayern und Deutschland, aber auch weltweit. Die Studie ist die dritte in einer Reihe von Expertisen der Sachverständigengruppe, die sich mit nachhaltiger Entwicklung und Transformationsfragen im Licht der öko-sozialen Enzyklika von Papst Franziskus, Laudato siʼ, befasst. Stefan Einsiedel von der Hochschule für Philosophie München hat bei der Fachtagung in Niederalteich die Kernthemen der Studie vorgestellt und aufgezeigt, wie eine zukunftsfähige Landnutzung aussehen könnte. Dazu zählt eine menschenrechtliche Fundierung, die nachhaltige Landnutzung als Gebot globaler und intergenerationeller Gerechtigkeit sieht und Nahrung als Menschenrecht anerkennt. Gemeinschafts- und Gemeinwohlorientierung müssten im Zentrum stehen. Zudem brauche es gemeinwohlorientierte Anreizstrukturen wie die Honorierung ökosystemarer Dienstleistungen oder ein flächengebundenes Ressourcenmanagement. Zentral seien Teilhabe und kulturelle Anerkennung, was durch die Einbindung vieler Interessen und Perspektiven und eine umfassende Bürgerbeteiligung erreicht werden müsse.

Antonio Andreoli, Experte für Agrarökologie, zeigte am Beispiel seines Heimatlandes Brasilien die internationalen Verflechtungen auf, die eine echte Selbstbestimmung im Bereich der Ernährung verhindern. Kleinbauern seien häufig die Verlierer. Gleichzeitig gebe es jedoch auch Hoffnungsfunken und Lichtblicke. So habe sich in den vergangenen Jahren in Brasilien seiner Ansicht nach einiges in die richtige Richtung bewegt: beispielsweise fördere ein Schulspeisungsprogramm den Ankauf von Lebensmitteln von den kleinbäuerlichen Betrieben vor Ort. Außerdem seien die Agrarberatung ausgebaut und Programme zur Unterstützung der Vermarktung von regionalen Produkten aufgesetzt worden.

„Jeder Kauf ist eine Entscheidung darüber, welche Form von Landwirtschaft gefördert wird”, sagt die Bezirksbäuerin Christiane Ade. Die Landwirtschaft möchte ein Teil der Lösung sein. Dafür brauche es neben verbesserten politischen Rahmenbedingungen und einem Abbau von Bürokratie jedoch vor allen Dingen eines: das Vertrauen der Menschen in die Landwirtinnen und Landwirte, in ihre Ausbildung und mehr gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit und die erzeugten Produkte. Auf die zentrale Frage des Fachtags, „Wer bestimmt, was uns ernährt?“, hat sie eine klare Antwort: „Wir alle!“

„Unsere Böden müssen enkeltauglich bleiben“, so die Europapolitikerin Maria Noichl. Sie macht deutlich, dass die Europäerinnen und Europäer von den Flächen anderer leben. Auf einer Fläche so groß wie Frankreich werde das Soja ausgebaut, das dann als Futtermittel in die EU importiert werde. Es brauche daher eine flächengebundene Landwirtschaft und die Stärkung der eigenen Futtermittelproduktion mit dem Ziel, lediglich so viele Tiere zu halten, wie sich mit den hier angebauten Mitteln ernähren lassen. „Wir müssen endlich aufhören, von den Tellern der anderen zu essen!“, macht sie deutlich. Dafür sei eine tiefgreifende Reform nötig, deren Ziel eine neue globale Handelspolitik sein müsse und den Partnerländern auf Augenhöhe begegne. Kleinbäuerliche Strukturen müssten weltweit gestärkt, die Nutzpflanzenvielfalt erhalten werden. Auch deswegen: „In einer klimabedrohten Welt, Grundnahrungsmittel, um den Globus zu schicken, das geht einfach nicht mehr!“

BU 2:
S. Nirschl, Verbraucherservice KDFB Regensburg, Dr. S. Einsiedel, Hochschule f. Philosophie und B. Schmidt, LVHS Niederalteich (vorne v.r.n.l.) in der Abschlussrunde im lebendigen Dialog mit den anderen Referentinnen, Landwirten und Tagungsteilnehmenden.
Foto: Dr. Alexandra Hofstätter

Der Fachtag „Wer bestimmt, was uns ernährt?“ hat wertvolle Impulse für die Weiterarbeit im kirchlichen und gesellschaftspolitischen Bereich geliefert, darüber waren sich die Organisatoren am Ende einig. Fernab von gegenseitigen Schuldzuweisungen oder einem Abwälzen der Verantwortung auf andere bleibt das Bekenntnis zu einer gemeinsamen Verantwortung und der Notwendigkeit und Bereitschaft zum Dialog.

Text: Alexandra Hofstätter

Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern ist der Zusammenschluss der bayerischen Diözesanräte, der auf Landesebene tätigen katholischen Verbände und Organisationen sowie von Einzelpersönlichkeiten. Das Landeskomitee koordiniert die Arbeit der engagierten Laien in Bayern und wirkt durch seine Initiativen, Publikationen und sein eigenes Engagement sowohl in Kirche wie auch in die Gesellschaft hinein.
Die LVHS (Landvolkshochschule) Niederalteich ist seit 1950 eine Einrichtung der Erwachsenenbildung für die Menschen in Ostbayern. Als Ländliches Bildungszentrum setzt sie sich unter dem Motto „Dem Leben Richtung geben“ für Persönlichkeitsbildung und Schöpfungsverantwortung ein.
Die KLB (Katholische Landvolkbewegung) Bayern ist seit 1951 eine Bildungs- und Aktionsgemeinschaft für die Menschen im Ländlichen Raum. Sie setzt sich für deren politische und religiöse, wirtschaftliche, soziale und kulturellen Belange ein.